Der unbekannte Vergewaltiger

Aus Falschbeschuldigung
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Die Einfahrt zur Jägerkaserne in Bückeburg: Männliche DNA am mutmaßlichen Tatort

Die Bundeswehr sprach von einem einmaligen Fall: Eine Soldatin in Bückeburg gab an, von einem Unbekannten in der Kaserne vergewaltigt und in einen Spind geschlossen worden zu sein. Nun mehren sich die Zweifel an ihrer Schilderung.


Angebliche Tat

Am 12. August, einem Sonntag, zwischen 18.30 und 19.30 Uhr, soll eine Soldatin in der Jägerkaserne im niedersächsischen Bückeburg von einem Mann überfallen worden sein. Die 25-Jährige hatte sich im Block A der Heeresfliegerwaffenschule, in dem Offiziers- und Unteroffiziersanwärter ausgebildet werden, aufgehalten, als sie der Unbekannte überfiel, so berichtete sie es später den Ermittlungsbeamten. Der Mann sei über sie hergefallen, habe sie vergewaltigt, anschließend geknebelt und gefesselt und in einen Spind gesperrt, so die Unteroffizierin. Er soll ihr ein Mobiltelefon dazugelegt haben, damit sie Hilfe rufen konnte. Ob sie das tat, darüber gaben die Ermittler ebenso wenig Auskunft wie über die Umstände ihrer Befreiung und den detaillierten Tathergang. Nach dem Täter werde intensiv gesucht, versprach damals Oberstleutnant Andreas Kühn vom Heeresamt in Köln. Auch die Feldjäger wurden eingeschaltet. Ein vergleichbarer Überfall auf eine Soldatin sei ihm nicht bekannt, sagte Kühn merkbar entsetzt.

Zweifel an der Tat

Nun mehren sich die Zweifel an der Tatversion des Opfers. Der Überfall sei vorgetäuscht, berichtet die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" ("HAZ") und beruft sich auf Ermittlerkreise und Untersuchungen der Feldjäger. Das Ergebnis der Recherchen sei "eindeutig": Die Soldatin leide unter einer Persönlichkeitsstörung und habe deswegen den sexuellen Übergriff frei erfunden. Die Staatsanwaltschaft Bückeburg hält sich zurück. "Noch können wir keine abschließende Entscheidung treffen", sagt Staatsanwalt André Lüth. Daher liefen die Vorbereitungen für einen Massengentest mit etwa 500 bis 600 Soldaten wie geplant. Im Oktober hatte das Amtsgericht Bückeburg die umfangreiche Speichelprobe angeordnet. Am mutmaßlichen Tatort sei männliche DNA sichergestellt worden, so Lüth. "Sie wurde an Stellen gefunden, die uns bislang zu der Vermutung veranlassen, dass es die Tat gab - und dass es keine Zufallstat war."

Wer schrieb den Brief

Neue Erkenntnisse könnten jedoch durchaus dazu führen, dass der DNA-Test nicht durchgeführt werde. Dazu gehört ein Brief, den die Soldatin Mitte November mit der Post erhalten haben will - abgesendet von ihrem mutmaßlichen Vergewaltiger. Laut "HAZ" hat die Soldatin den Brief selbst verfasst. Am 20. November lag dieses Schreiben auch der Staatsanwaltschaft Bückeburg vor. "Wir wissen noch nicht, von wem der Brief stammt und prüfen die Urheberschaft", so Staatsanwalt Lüth. Zum Inhalt des Schreibens wollte er nichts sagen, weil es sich möglicherweise um Täterwissen handeln würde.

Persönlichkeitsstörung vermutet

Die "HAZ" berichtet, Profiler des Landeskriminalamts hätten bereits kurz nach der mutmaßlichen Tat den Verdacht auf Vortäuschung geäußert und bei dem mutmaßlichen Opfer eine Persönlichkeitsstörung beziehungsweise ein sogenanntes Borderline-Syndrom vermutet. Die 25-Jährige soll die Geschichte von dem sexuellen Übergriff in der Kaserne frei erfunden haben. Auch aus Bundeswehrkreisen seien entsprechende Hinweise gekommen. Persönliche Unterlagen der Soldatin würden dabei eine Rolle spielen.

Ermittler der Operativen Fallanalyse

Die Staatsanwaltschaft Bückeburg bestätigt, dass sie zur Aufklärung des Vorfalls Ermittler der Operativen Fallanalyse (OFA) hinzugezogen hätten. Diese werden bei ungeklärten Verbrechen eingesetzt, um ein Täterprofil zu erstellen sowie um Serienstraftaten zu erkennen. Die OFA wird meist bei Straftaten wie Tötungs- und Sexualdelikten beauftragt, wenn die Ermittlungen der Polizei nicht zu eindeutigen Feststellungen über Täter, Tatablauf sowie Opferverhalten führen. "Wir haben von Anfang an verschiedene Ermittlungshypothesen aufgestellt", sagt Staatsanwalt Lüth. Dass frühzeitig Zweifel an der Tatversion der Soldatin aufkamen, wollte er nicht bestätigen.

Keine typischen Verletzungen

Trotz der Vergewaltigung und des Einsperrens in den Spind soll die 25-Jährige keine Hämatome oder andere typische Verletzungen erlitten haben, berichtet die "HAZ". Zudem seien die Ermittler bei einer Rekonstruktion des Tathergangs - basierend auf den Schilderungen der Frau - zu der Erkenntnis gelangt, dass der Übergriff sich keinesfalls so zugetragen haben kann, wie sie es zu Protokoll gegeben hat. Mit diesen Ermittlungsergebnissen konfrontiert hat sich die Unteroffizierin laut "HAZ" in Widersprüche verstrickt.

War es ein Kaserneneinbrecher

Die junge Soldatin ist laut Staatsanwalt Lüth weiterhin im Dienst. Kurz nach dem Vorfall hatten Ermittler bereits von Männern aus ihrem näheren Umfeld Speichelproben entnommen, eine Übereinstimmung habe es nicht gegeben. Die Betroffenheit der Soldaten in der Kaserne war nach Bekanntwerden des Falles groß. Mitarbeiter der Heeresfliegerwaffenschule prüften, inwieweit jemand von außen in die Kaserne eingedrungen sein könnte und wie das Gelände gesichert war. Nach der Tat war die Kaserne großräumig abgesperrt worden, Soldaten durften das Gelände nicht verlassen, Videos von Überwachungskameras wurden ausgewertet. Die 25-Jährige hatte gegenüber der Polizei erklärt, der mutmaßliche Täter habe zwei auffällige Muttermale im Genitalbereich. Alle Soldaten der Kaserne wurden noch am selben Abend dahingehend untersucht - ebenfalls ohne Ergebnis.

In der Jägerkaserne, seit 1959 in Bückeburg ansässig, sind nach Bundeswehrangaben etwa 500 bis 600 Soldaten untergebracht, darunter nur fünf bis sechs Frauen.[1]

Einzelnachweise